Orphan Drugs

Hoffnungsschimmer aus der Forschung

Von Tobias Lemser · 2018

Kinder mit einer seltenen Erkrankung stehen häufig vor einem langen Leidensweg – weil Ärzte von so mancher Krankheit noch nie etwas gehört haben, Symptome aufgrund fehlenden Wissens falsch zugeordnet werden und vor allem wirkungsvolle Arzneimittel Mangelware sind. Grund, weshalb Forschung und Pharmaunternehmen, die jüngst mit verheißungsvollen Therapien aufhorchen ließen, besonders im Blickpunkt stehen.

Arzt hört Baby an der Brust ab. Thema: Seltene Erkrankungen und Orphan Drugs

Sind unsere Kleinsten krank, brauchen sie zumeist besonders viel Zuneigung und tröstende Worte. Das Gute: Ob Bronchitis, Nebenhöhlen- oder Mittelohrentzündung, in der Regel verschwinden die Beschwerden – auch dank wirkungsvoller Arznei- oder Hausmittel – als wäre nichts gewesen bereits nach ein paar Tagen wieder. 

Familiäre Herausforderung

Anders, wenn sich die Symptome hartnäckig manifestieren und Betroffenen und Angehörigen das Leben schwermachen – so wie bei den meisten seltenen Erkrankungen. Das Problem: Viele Kinderärzte kennen sich mit ungewöhnlichen, raren Krankheitsbildern nicht aus, was für betroffene Eltern heißt, mit ihren Kindern von Facharzt zu Facharzt rennen zu müssen. Alles in der Hoffnung, nach langer Ungewissheit endlich zu erfahren, welche Erkrankung dahintersteckt. Oftmals vergehen Jahre bis zur Diagnose. Und selbst wenn Ärzte dann Klarheit haben, muss dies jedoch längst nicht bedeuten, die dazu passende Therapie zu bekommen. Ganz abgesehen von den weiten Wegen und dem erheblichen zeitlichen Aufwand, den Eltern mit ihren Kindern auf sich nehmen müssen, wenn sie eines der mittlerweile 32 deutschlandweit spezialisierten Zentren erreichen wollen.

Apropos Zeit, sie ist für viele Ärzte ein großer Hemmschuh: Gerade einmal 15 Minuten hat ein Kinder- oder Facharzt im deutschen Gesundheitssystem pro Patient, alles was darüber hinausgeht bleibt zudem unbezahlt. Schlechte Vorzeichen, um Patienten mit einer seltenen Erkrankung ausführlich untersuchen und Ergebnisse analysieren zu können.

Seltene Erkrankungen: Symptome beginnen in der Kindheit

Laut Schätzungen gibt es weltweit insgesamt bis zu 8.000 seltene Erkrankungen. Generell stuft die Europäische Union diese sogenannten Orphan Diseases dann als selten ein, wenn sie nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betreffen. Das Tückische: Bis zu 80 Prozent sind genetisch bedingt und treten deshalb bereits oft im Kindesalter auf. Viele der Erkrankungen – seien es den Stoffwechsel, die Muskeln oder die Nerven betreffende Krankheiten oder spezielle Krebsarten – verlaufen häufig chronisch, sind lebensbedrohend oder verringern die Lebenserwartung erheblich. Beispiel Epidermolysis bullosa: eine seltene Hautkrankheit, wobei sich durch Wärme, Reiben oder Kratzen Hautblasen bilden. Zu beobachten ist die Erkrankung zumeist bei Kleinkindern und Neugeborenen, die häufig bereits mit Blasen auf die Welt kommen – ausgelöst durch das Fehlen von Strukturproteinen in der menschlichen Haut. Folge: Die Haftung zwischen Ober- und Lederhaut ist vermindert, sodass bereits bei leichter Berührung Blasen entstehen können.

Zielgerichtet zum Erfolg

Gar lebensbedrohend ist die Akute Myeloische Leukämie. Bei dieser Form des Blutkrebses entstehen im Knochenmark zu viele, meist entartete und somit funktionsunfähige weiße Blutzellen und verdrängen andere Bestandteile des Blutes. Nachdem man die Erkrankung seit 25 Jahren mit einer intensiven Chemotherapie behandelte, sorgt seit dem vergangenen Jahr ein neues Medikament für Furore. Das Einzigartige daran: Es arbeitet zielgerichtet gegen die Tumoreigenschaften, die das Wachstum der Krebszellen fördern. Grundlage für die Zulassung war eine Studie, in der es zu einer 22-prozentigen Reduktion des Sterberisikos führte. Und nicht nur das: Da das Medikament ebenso gegen drei Formen der fortgeschrittenen systemischen Mastozytose, eine seltene Erkrankung des blutbildenden Systems, hilft, hat es die EU auch hierfür zugelassen. 

Orphan Drugs: Medikamente im Zulassungsverfahren

Auch wenn noch immer nur etwa ein Prozent der seltenen Krankheiten medikamentös behandelbar ist, noch nie standen so viele Medikamente für seltene Erkrankungen wie heute zur Verfügung. 144 sogenannte Orphan Drugs sind seit dem Jahr 2000 zugelassen worden. Und es gibt noch mehr Positives: Wie der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen mitteilt, ist für das laufende Jahr die Einführung von mindestens 30 Medikamenten mit neuem Wirkstoff zu erwarten, wovon rund ein Drittel Orphan Drugs sein dürften. Hierzu zählen unter anderem Medikamente gegen Erbkrankheiten wie Morbus Wilson, Mukopolysaccharidose VII und bestimmte Formen von Mukoviszidose. Außerdem im Zulassungsverfahren: Medikamente gegen mehrere seltene Krebsarten wie etwa das Multiple Myelom.

Warten auf die Freigabe

Doch wie geht es nach einer Zulassung weiter? Das Gute: Lässt die Europäische Medizinagentur ein Medikament zu, gilt diese Freigabe automatisch auch für Deutschland. Allerdings gibt es auch so manchen Wermutstropfen, die Betroffene auf eine harte Geduldsprobe stellen: Nicht nur, dass die Einführung in den Markt erst nach einem Jahr erfolgt, zudem muss das Medikament eine umfassende Kosten-Nutzen-Bewertung durchlaufen. So wird beispielsweise getestet, inwieweit sich die Symptome verbessert haben und ob Betroffene eine Steigerung der Lebensqualität spüren konnten. Je nach Auswertung der Daten kann dies auch dazu führen, dass das Medikament wieder vom Markt genommen wird. 

Fest steht: Neben zunehmend positiven Meldungen heißt es für viele betroffene Eltern dennoch, bis zum großen Durchbruch für das eigene Kind zu warten. Umso wichtiger für Eltern ist der Austausch in Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen – nicht nur um Erfahrungen zu teilen, sondern nicht zuletzt auch, für den so wichtigen seelischen Beistand.

Wichtige Informationsquellen und Anlaufstellen

se-atlas ist ein Versorgungsatlas für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Er bietet einen Überblick über die 32 Zentren für seltene Erkrankungen.
www.se-atlas.de

ACHSE e. V. ist ein Netzwerk, das Menschen mit einer seltenen Krankheit unterstützt, ihre Erfahrungen in Selbsthilfeorganisationen untereinander auszutauschen.
www.achse-online.de

Orphanet Deutschland ist ein Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs. Es steht für fachlich geprüfte Verweise zu Krankheitsbeschreibungen und Links und unterstützt bei der Suche nach einer Diagnose.
www.orpha.net

NAMSE ist das nationale Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Es setzt sich dafür ein, Patienten eine schnellere Diagnose zu ermöglichen.
www.namse.de

ZIPSE ist ein zentrales Informationsportal über seltene Erkrankungen mit qualitätsgesicherten Informationen.
www.portal-se.de

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