Seltene Erbkrankheiten

Wenn Beschwerden für Fragezeichen sorgen

Von Nadine Effert · 2020

Mafucci-Syndrom, hereditäres Angioödem, Tarui-Krankheit – noch nie davon gehört? Kein Wunder, denn hierbei handelt es sich um seltene Krankheiten. Die ersten Symptome treten häufig bereits im Kindesalter auf, werden aber oft nicht richtig zugeordnet. Woran das liegt und welche Fortschritte es zu verzeichnen gibt.

Ein Kind wird am Bauch untersucht. Thema: Seltene Erbkrankheiten
Auch hinter wiederkehrenden Bauchschmerzen kann mehr stecken als eine harmlose Magenverstimmung. Foto: iStock / O_Lypa

Es ist eine Horrorvorstellung für Eltern: Sie merken, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt, doch die Ärzte zucken nur ratlos mit den Schultern. Eine verlässliche Diagnose bleibt lange Zeit aus, genauso wie ein Behandlungserfolg. Ein möglicher Grund: Das Kind leidet an einer seltenen Krankheit. Viele der rund 8.000 bekannten Vertreter stehen nicht einmal in Lehrbüchern, sind schlecht oder gar nicht erforscht. Bedeutet: Sie fallen schlichtweg durch das alltägliche Diagnoseraster.

Seltene Erbkrankheiten: eine Handvoll Patienten

Laut der Definition der Europäischen Union wird eine Krankheit als Rare Disease (engl. rare „selten“, disease „Krankheit“) eingestuft, wenn sie nicht mehr als fünf von 10.000 Personen betrifft. Obwohl die Zahl mit Blick auf die einzelne Erkrankung sehr gering ist, ist es die Gesamtzahl keineswegs: Allein in Deutschland leben geschätzt vier Millionen Betroffene, rund zwei Drittel davon sind Kinder und Jugendliche. Etwa 80 Prozent der Rare Diseases sind genetisch bedingt oder mitbedingt, nur vereinzelt sind sie heilbar. So manche der chronisch verlaufenden Krankheiten hat massive Folgeerscheinungen, wie Organschädigungen und stark lebenseinschränkende Begleitsymptome. Rund 30 Prozent der betroffenen Kinder versterben vor dem fünften Lebensjahr.

Langer Weg zur Diagnose

Charakteristisch für die „Seltenen“ ist eine Vielzahl an Störungen und Symptomen, die nicht nur bei jeder einzelnen Krankheit, sondern auch bei jedem einzelnen Patienten sich anders äußern können. Zu Beginn zeigt sich die Symptomatik häufig unspezifisch, sodass Beschwerden leicht fehldiagnostiziert werden. So wird beispielsweise eine Lungenfibrose oft mit Asthma verwechselt, oder ein heriditäres Angioödem (HAE) mit einer allergischen Schwellung von Körpergewebe. Bis die Diagnose für eine seltene Krankheit steht, vergehen im Durchschnitt etwa fünf Jahre. Zur frühzeitigen Diagnostik gibt es Screening-Programme, mit denen bestimmte seltene Erkrankungen zuverlässig erkannt und umgehend behandelt werden können. Das Neugeborenen-Screening erfasst 15 Zielerkrankungen, von denen die meisten selten sind. 

Aufholjagd der Medizin 

Die spärliche Verbreitung der einzelnen Erkrankungen erschwert aus medizinischen und ökonomischen Gründen auch häufig die Forschung und Entwicklung von Therapien. „Von 8.000 bekannten seltenen Erkrankungen sind rund zwei Prozent behandelbar. Das ist eindeutig zu wenig. Die Aufholjagd der Medizin hat gerade erst begonnen“, stellt Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen vfa, fest. Allerdings gebe es auch Positives zu berichten: So wurden seit dem Jahr 2000 rund 160 Orphan Drugs in der EU zugelassen, jedes Jahr kommen weitere hinzu. Derzeit arbeiten die forschenden Pharma- und Biotech-Unternehmen an mehr als 2.100 Medikamenten-Projekten. Mehr als 60 könnten innerhalb der nächsten vier Jahre zu weiteren Zulassungen führen.

Bessere Versorgung, mehr Daten 

Auch in puncto Versorgung gute Nachrichten: In Deutschland gibt es inzwischen 32 spezialisierte Zentren zur Früherkennung und Behandlung von seltenen Erkrankungen. Manche von ihnen sind auf bestimmte Felder wie Nervenkrankheiten spezialisiert, andere decken eine große Bandbreite ab. Auch wichtig: die elektronische Patientenakte. Denn eine rar gesäte Erkrankung bedeutet immer auch, dass wenig Daten vorhanden sind. Hier ruhen viele Hoffnungen auf einer besseren (digitalen) Nutzung der Daten zu Forschungszwecken.

Fazit: Es hat sich viel getan für die einstigen Waisenkinder der Medizin – doch reichen die Vorstöße noch lange nicht. Die „Seltenen“ müssen noch mehr ins Scheinwerferlicht gerückt werden, damit in Zukunft noch mehr Betroffene eine Chance auf eine frühe Diagnose und adäquate Behandlung haben.

Wussten Sie schon, dass …

… das Bundesforschungsministerium die Forschung an seltenen Erkrankungen unterstützt? Seit 2003 hat es zur Aufklärung wichtiger Fragen insgesamt über 170 Millionen Euro für nationale sowie internationale Verbünde bereitgestellt.

… es ein Nationales Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen gibt? NAMSE wurde 2010 als gemeinsam getragene Initiative der Bundesregierung und Selbsthilfeorganisationen ins Leben gerufen. Vorrangige Ziele: Förderung der Bildung von Fachzentren und Lancierung weiterer Projekte und Aktionen. 

… es einen internationalen Tag der Seltenen Erkrankungen gibt? Der Rare Disease Day fand erstmals am 28. Februar 2008 in Europa und Kanada statt und macht seitdem immer am letzten Tag im Februar auf die Problematik von seltenen Krankheiten und die Belange von Betroffenen aufmerksam.

Wichtige Anlaufstellen

ZIPSE 
Zentrales Informationsportal über seltene Erkrankungen
www.portal-se.de

se-atlas
Der Versorgungsatlas für Menschen mit seltenen Erkrankungen bietet einen Überblick über die 32 spezialisierten Zentren.
www.se-atlas.de/map/zse

ACHSE e. V.
Das Netzwerk unterstützt Menschen mit einer seltenen Krankheit beim Austausch ihrer Erfahrungen in Selbsthilfeorganisationen.
www.achse-online.de

Orphanet Deutschland 
Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs steht für fachlich geprüfte Verweise zu Krankheitsbeschreibungen und unterstützt bei der Suche nach einer Diagnose.
www.orpha.net

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