Stillen

Das allererste „Superfood“

Von Wiebke Toebelmann · 2017

Anfang der 1980er bestätigte die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass es nichts Besseres für ein Baby gibt als die Nährstoffe, die es über die Muttermilch erhält. Eine neue Studie belegt, dass nicht nur Abwehrkräfte in der Brustmilch stecken, sondern dass beim Stillen auch noch gute Bakterien in die Darmflora des Babys „übersiedeln“.

 Ein Baby saugt an der Brust seiner Mutter.
Stillen bietet dem Baby eine maßgeschneiderte Ernährung und körperliche Nähe.

Babys mit der Flasche zu füttern – das gab es erst ab dem 20. Jahrhundert. Davor war es selbstverständlich, dass Babys gestillt wurden. Ab den 1920er-Jahren wurde Säuglingsnahrung industriell hergestellt, und in den 1970ern war es geradezu verpönt, zu stillen. Es kursierte das Gerücht, die Muttermilch vieler Frauen enthalte Schadstoffe. Doch die Unlust am Stillen hatte auch politische Gründe: Frauen wollten mehr Freiheit und Macht über den eigenen Körper. Nicht einmal zu unrecht – das Stillen fesselte viele ans Zuhause, galt doch öffentliches Stillen als unschicklich. 

Bakterien „besiedeln“ Babys Darm 

Als die Medizin auf die wertvollen Eigenschaften von Muttermilch aufmerksam wurde, erlebte sie eine regelrechte Renaissance. Heute stillen gut 90 Prozent aller jungen Mütter in Deutschland, zumindest in den ersten vier bis sechs Monaten. Sie wissen, dass es nichts Besseres für den Start ins Leben gibt als Muttermilch: Das Baby erhält wichtige Abwehrstoffe fürs ganze Leben. In einer aktuellen Studie fanden Forscher der Universität von Kalifornien (UCLA) Neues über Muttermilch heraus: Das Baby nimmt in seinem Darm über das Stillen 30 Prozent der nützlichen Bakterien der Mutter auf, die ihm helfen, eine gute Darmflora und damit ein gesundes Immunsystem aufzubauen. Weitere zehn Prozent stammen sogar direkt von der Haut der Mutterbrust. Schon länger bekannt ist, dass Stillen das Risiko für chronische Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf­erkrankungen senkt. Erstaunlich ist auch die Eigenschaft von Muttermilch, sich individuell auf das Kind einzustellen. Ist es etwa krank, verändert sich die Speichelzusammensetzung. Der Körper der Mutter erkennt dies und produziert Milch mit darauf abgestimmten Antikörpern. Die Brustmilch ist „lebendig“ und enthält sogar Stammzellen, die sich in Körperzellen wie Knochen-, Fett-, Leber- und Gehirnzellen verwandeln können. Neueste Forschungen beschäftigen sich mit dem möglichen Einsatz von Muttermilch in der Krebstherapie. 

Von Milcheinschuss bis Milchpumpe

In jeder weiblichen Brustwarze befinden sich vier bis 18 weitverzweigte Milchkanäle. An den Enden der Kanäle sind tausende Drüsen, in denen die Milch gebildet wird. Hebammen und Ärzte wissen heute, dass ein Kind direkt nach der Geburt so schnell wie möglich an die Brust sollte. Die Vormilch (Kolostrum), die es dort bekommt, gilt als besonders wertvoll. Erst zwei bis sieben Tage später setzt der richtige Milcheinschuss ein. Bis dahin trinkt das Kind nur sehr geringe Mengen. Regelmäßiges Anlegen ist jetzt das A und O, damit es nicht zum Milch­stau kommt. Hebammen empfehlen gegebenenfalls auch den Einsatz einer Milchpumpe. Während der Vater dem Kleinen dann das Fläschchen mit der guten Muttermilch gibt, kann sich die Neu-Mama ein wenig ausruhen. Das bedeutet ein Stück weit mehr Unabhängigkeit und ein „Bonding“ beider Eltern mit dem Neugeborenen.

Deutsche Mütter zum Thema Brustgeben an öffentlichen Orten. Quelle: Statista, 2015

Keine Panik bei Brustentzündung

Der Stillboom hat auch seine Schattenseiten: So fühlen sich viele Frauen, als hätten sie versagt, wenn sie Probleme beim Stillen haben. Bis zu 30 Prozent aller stillenden Mütter leiden mindestens einmal an einer Mastitis (Brustentzündung), einer bakteriellen Infektion. Früher glaubte man, in solchen Fällen müsse abgestillt werden. Heute wird eher zu häufigem Anlegen geraten. Wer seinem Kind nicht über die Muttermilch die „Chemie-Keule“ in Form von Antibiotika zumuten will, kann auch Alternativen wie zum Beispiel Präparate mit Milchsäurebakterien ausprobieren: Diese werden mittels Kapsel oral eingenommen und gelangen über Darm und Lymphe in die Milchgänge und unterstützen so die Wiederherstellung der natürlichen Bakterienflora.

Übrigens: Stillen will gelernt sein, und das braucht Zeit. Viele werdende Mütter geben sich der Illusion hin, sie bräuchten den Säugling nach der Geburt nur einmal anzulegen und es klappt auf Anhieb mit der kuscheligen Stillbeziehung. Tatsächlich passiert es aber häufig, dass das Kind nicht richtig „andockt“ und vor Hunger schreit. Das erzeugt viel Stress bei der Mutter, der sich wiederum auf das Neugeborene überträgt. Oftmals kommt dann noch der hormonell bedingte „Baby-Blues“ im Wochenbett hinzu. Aber anstatt vielleicht vorzeitig abzustillen, ist jetzt die Hilfe von Hebammen unabdingbar. Viele von ihnen haben auch eine Weiterbildung zur Stillberaterin gemacht und erkennen beispielsweise, wenn die Frau das Kind falsch anlegt. Umschließt etwa das Baby mit dem Mund nicht die gesamte Brustwarze, sondern nur die Spitze, kann das schnell zu Wundheit führen. Gegen gereizte Brustwarzen helfen wiederum Kompressen oder ein Heilbalsam aus Wollfett (Lanolin). Mit etwas Geduld entsteht eine gute Stillbeziehung nach drei bis vier Wochen. Und dann gibt es nichts Schöneres mehr für die Bindung zwischen Mutter und Kind.

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